Hier baut Europa!
Hauts-de-France, März 2025
1
Deutschland : hässlicher
Spiegel : Überall sonst will
man lieber sterben . ..
Wirklich ?
Dazu …sei gesagt: Die Autobahn führt uns durch die Wallonie Richtung
französische Grenze,
2
wo wir auch Bücher kaufen wollen, entsprechend auf irgendwelchen
Regalen zuhause unterbringen (im Normalfall verstauben lassen)
ist Teil des Tricks , sich noch mit gaaaanz viel weiterer Lebenszeit
auszustatten (jedenfalls im Wunschtraum): Schließlich muss man ja all
das noch mal lesen!
3
Zeit-Wahrnehmung : Wir sind nach Passieren der Grenze im Land des
Marcel Proust , auf der Suche nach seiner Zeit , seinem Vermächtnis.
Zeit-Wahrnehmung und -Verwertung , -Kompostierung : Das ist ein
Doppelgänger-Thema:
Im Ad-Hoc-Moment hier/jetztwerfe ich keine Schatten ; und ein
Gespräch mit Egalwem gibt mir synchron volle und unsichtbare Deckung
mit der Sekunde… Später einmal sagt vielleicht ein Monsieur Proust: Mein
damaliges Double hat mich allein gelassen.
Nennen wir das einen Phantomschmerz. Könnte man pro Lebens-
moment erkennen : Welchen Schatten werfe ich gerade ,schön oder
nicht, der später Erinnerungs-Zentrum wird? Was wäre gewonnen?
Mach das Beste aus Deiner Sekunde? Aber, so die
Unterhaltungsindustrie , man muss doch loslassen können! Okay, ein
bisschen Patina haben wir auch im Angebot.
4
Wir sind die Rosinenpicker in der Wüste : Nordfrankreich gibt sich
verrammelt und verödet , allerdings zur Zeit wie erwünscht in praller
Spätwintersonne . Brutal ausgeleuchtete Äcker , Brachen , dörfliche
Pappmaché . Da , wenigstens , nach fünf Kilometern Landstrassen
Monopol , wenigstens ein Gewerbegebiet . Aber es ist nicht
zufälligerweise gerade Sonntag.
Obszön : Das Musée Matisse in le Cateau . Abwaschbar auf postmodern
gebügelt , so hip dass man sich gleich wie zuhause fühlt ja leider;
angeberischer Eingang neben dem Bretterverschlag an ehemaliger
Boulangerie.
Wie aufgestellte Bettlermützen gibt es hier und da in der Region
Upstarts , peinliches Optimismus-Gerenke , geschlossen nach immerhin
weiteren 12 Monaten , verstaubt beschlagene Scheiben , Landflucht der
Jungen . Aber eben hier und da hingefixte EU-unterstützte Leuchtturm
Projekte , in die Industriebrache hinein , drumrum Tombstone City.
Café `Le Francais ´hinter Bretterverschlag , vor Rübenfeld , im
Nachbardorf ( aber früher ) Café des Sports . Doch : Es gibt noch ein
Tempo 30-Schild …..vor einem Kindergarten!
Und gestern noch die hiesige Dauerpest von nassgrauer Himmelskälte,
okay, es ist noch Winter. Freudvoll wie eine Betondecke,
Wolkenstudien kaum möglich wg. allgemeiner Grautünche, mangels
Anfang/Mitte/Ende.
Und WENN es hier letzte Spuren von Lebensmut gibt, verdanken sie
sich den Villegiatüren und Karnevalsflüchtlingen aus EU-
Nachbarlanden. Die Rosinenpicker („Guck mal , wie malerisch !“ ) geben
hier Hoffnung.
Ohne Autowären all die meilenweit geraden Trassen durch Rübenäcker
ganz nutzlos. Wer hier kein Auto hat….meistens sind diese
Lebenszeichen auf dem hochgeklappten Bürgersteig wie aus Trotz
moderat modern.
5
Le Quesnoy La Morte , wurmstichige Festungsstadt …und abends
…Woher kommen sie in diesen Scharen ? Dutzende Senioren , die sich
im hiesigen ( EU-unterstützten , wie stolz vermerkt ) Theater (!) eine
Boulevardkomödie à la Paris ansehen . Die Lebensgefährtin des
Schreibers senkt den Altersdurchschnitt.
6
Karnevalsflüchtlinge auch wir . Der Jahreszeit entsprechend
Morgennebel , und die leichte Suggestion von Geisterarmeen.
Zumal wir an ungezählten Soldatenfriedhöfen vorbeischnellen. Eine,
sagen wir, Mutter aus Birmingham hätte nach der Grande Guerre nicht
die Möglichkeit gehabt , hierher zum Grab zu kommen…wie denn, vor
der Verbilligung des Automobils?
Aha , also wieder das Thema des Tourismus . Warum ist das so ein
Stachel im Fleisch ? Ist Tourismus eben Mitleidsverweigerung?
Empathie-Verramschung ?Eine moderne Versündigung ….
7
Lille
an einem schönen Ausflugs-Sonntag . In Altstadt und Stadtmitte
alles kühn fragil wie aus Porzellan und in völlig gelassener sonniger
Sicherheit!
Die Uhren wohlig verlangsamt . Alle reissen sich zusammen , raffen die
Röcke, räuspern sich noch mal …Nein , Sie brauchen sich nicht
anschnallen.
Wir Jäger des Sternenstaubes , ein Zitat reicht allemal ; gebt uns einen
Nachmittag des Anachronismus in der Sonne , Place de Bettignies.
8
Frankreich entlarven ! Bougival , Argenteuil….als ob die Zunge über
Exquisitem spielt …Und dahinter Le Pens Bruchbuden und eine
traumatische Kapitulation vor Geschichte und Zukunft . Des Königs neue
Kleider unter dem Weichen der französischen Vokale.
Wie eine Beschwichtigung : Reisender , Du weißt schon , wie es gemeint
ist!
9
Apropos Sternenstaub : Ja , schön dieses Dorf.
Nein , wohnen hier ginge nicht , ausserdem waren wir noch nicht im
Kontinent hier gegenüber oder dahinter .Wie sehr wir uns nach ewiger
Heimkehr sehnen und dafür immer schneller werden müssen!
10
Halsbrecherisch schwindelerregend, tags wie nachts ,diese
automobile Zuverlässigkeit über den leeren Ebenen der Hauts de
France . Niemand hält hier einen Citroen auf , höchstens ein Schlagloch,
und , na gut , Tempo 30 vor dem immer noch betriebenen Kindergarten.
Oder ,mal den Rückspiegel befragen , war es ein Altenheim?
Wer hier ausharrt, arbeitet vielleicht in der Niederlassung von Toyota in
Valenciennes , zwingt auch seine Familie hierher , und verlässt sich
auch sonst auf das Auto wie auf die Schwerkraft und den Sauerstoff.
11
Märzgrünes Licht in den Wäldchen und Parks , noch laublos aber
moosgetönt . Katzen in der Sonne lassen schweigen , sind die Meister
der zu Ende gekommenen Gravitation , thronen in Erwartung . Das kann
dauern.
Wir sitzen im Garten des Château de Ruèsnes. Im Schlossteich
tummeln sich Enten und Nutrias , auch sie sind von der Sonne nicht
eigentlich überrascht . Der Besitzer des Château betreibt ein
Kulturzentrum und bietet auch eine bestens bestückte Buchhandlung mit
Atmosphäre und Kaffee-Angeboten ; wer diese Bücher im Regal vorrätig
hat , könnte in Paris jeden besuchenden US-Professor glücklich
machen . DEN Autor haben Sie ? Natürlich , DIE kennen Sie auch etc.
Chateau und Betreiber wie ein Juwel auf weiter Samtbroderie , Perle in
einer Fassung mit weitem weitem Anlauf!
Wir erinnern uns : Bücher kaufen , entsprechend auf irgendwelchen
Regalen zuhause unterbringen ( im Normalfall verstauben lassen)
…..Teil des Tricks , sich noch mit gaaaanz viel weiterer Lebenszeit
auszustatten …..
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Haiku (trouvé)
Auch nicht so richtig
unkaputt hier, sagt der Lord
auf seiner Grand Tour.
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Lille erlaubt mir, mich intelligent zu fühlen , wenn ich nur die richtigen
Weg-Entscheidungen treffe. Unbezahlbar ! Ich ….devisenstark!
Ich , die beseelte Uhr, sehe ich nur junge Paare , höre und lese
Sprachenvielfalt, spüre das Vertrauen der Jungverliebten!
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Lille , Tea Time
Stabiles Gleichgewicht in Märzensonne,
Abendrot in echt;
Vorfrühlingshall als gäbe es
auf Glück ein Recht …..
Peinlichkeiten vom Glockenspiel!
Bäume bluffen moosgrün oder kahl;
man nimmt sich raus die Teilhabe.
Vier Uhr , Place de la Cathédrale …..
man braucht heute nicht viel.
Simenon hätte schon die Antwort gehabt,
für uns alles richtig gemacht;
wir hier bei ihm in stabilem Asyl.