Ein Klamauk
Décembre 2022
1
Haiku
( bei Abfahrt aus deutscher Provinz )
Traumberuf :` Tauben-
Advokat ´ : Für im Bahnhof
taubig Befleckte .
2
( Im-?)mobilien-Makler :
Sind wir doch alle fast bis zum Schluss
in Warteschleife/ Hotline/ ohne Interpunktion
ein paar mal zu oft
fast Routine
liefen wir davon
rutschten lustlos über die Bühne
der Reise
Weiter-Reise
Lese-Reise
Leisetreter
Leben : Immer erst was für später !
Bahn-Geleise .
3
Liège !
aus dem Zugfenster :
Die Stadt spielt ihre Karten ;
gibt dieses Haus auf ,
baut jenes ganz neu ;
spielt ihre Karten ,
wirft Ballast ab ,
errichtet neue Tarn-Adressen ;
die Stadt lebt ,
nur auf den Wandel sei Verlass
(pauvre Confucius ) .
4
Sternschnuppengleich auf rasantem Städtetrip ….Kennen Sie DEN ?
Le Maître de Jacques und sein aschener Blicke auf verlassene Horizonte , trifft irgendwo im belgischen Niemandsland einen Landpfarrer
oder im nächsten verschlafenen Kaff einen Unfall-Seelsorger :
Was hätten sie sich zu bieten?
5
Schöne Frauen !
bieten Halt wie Löschsand beim Notar
ein Kaleidoskop macht begrenzt Spaß bei Ausstiegsmöglichkeit
nach Bruxelles :
DU stirbst , nicht Dein Avatar !
Reiskörner vor Standesamt ,
auf Gehsteig
in den Boden gerammt ….
Nagellack macht Frauenfinger
noch filigraner
bei Tippen und Richtung zeigen ,
wie Memento- Mahner .
6
Hinter Bruxelles gehts weiter :
Landflucht aus der Monokultur ,
eine Vakuumschleuse
ehedem Simenon-geerdet :
Hier will keiner mehr sein
in Pierrelatte-sur- Oise !
Haltet den Dieb !
Hier bleibt nichts im Sieb ;
dort le Maître und Jacques le Fataliste ,
bis man in Lutetia ist .
7
(da kennt man sich aus in eigener Biographie ,
ist aber heimatlos ) ;
alte Tage selbst in der Früh ,
nichts hält einen ,
alles wie versiegelt verspiegelt ;
man perlt ab von Namen ,
es bleiben kaum die Dramen .
8
Paris…..
In der Métro , vom Gare du Nord :
Du musst Dich umdrehen nach dem Mensch , dessen Stimme irgendwo im Rücken man so entsetzlich findet : Aha , so sieht er aus : Jetzt ist er entschärft .
9
Comte de Montesquiou : Nicht jagen , nicht Schlösser verwalten ,
nicht Geld im Casino anlegen : Die wahrhaft angemessene Tätigkeit des Aristokraten ist : Beobachten und studieren , Namen vergeben .
10
Im besten Fall auf kosmopolitischer Mission a la 90 Tage von Peking
( wir alle gegen die Barbarei , ein faszinierendes Mosaik von Solidarität );
im schlimmsten Fall ein Kasperle-Theater für Alle : In Papp-Machée-Kulisse , nowadays mit schnellem Internet .
11
Midnight in Paris
( homage à W.Allen )
Anachronismen für alle!
so sitzen wir in der Falle ,
trotz Autopilot ;
für jeden schlechten Geschmack
(`suche Galerie undoder Kleinverlag ´ )
was im Angebot .
Wir zwei in der Ferne ,
ach wäre es nur schon vorbei ;
südwestlich von Herne ,
wir zwei in der Ferne ;
ach wäre es nur schon vorbei
und wir irgendwie im Futur zwei
( Hors Service) .
12
Père Lachaise und ein Papagei oben in der Friedhofs- Platane !
Man las von den Tieren , die auf der Nekropole den Part des Lebens übernommen haben .
Boulevard Menilmontant und Beerdigungsunternehmer aufgereiht , so wie eben noch in Pigalle ein Sexshop neben dem anderen . Alles user-freundlich .
13
Schöne Fremde am Frühstücksbuffet : Unschuldsvermutung btrfs. Welt ,
Selbstreinigungskräfte der (Froh-)natur :
(Sonett )
Nasse Haare und klebrige Frühstücksfinger ,
am Nebentisch wohl ein Sumo-Ringer ;
strecke meine Butterpfoten
aus , mir Chancen auszuloten ….
Plüschteppich schluckt multilingual ;
am Büffet höchst beschränkte Wahl ,
war darauf nicht vorbereitet …
bin ohnehin zu zart besaitet ,
war nie gut im Dimensionieren ;
immer zu nah an zugigen Türen…
Bestünde der Tag nur aus Büffet ,
bräucht ich nicht erst ins Atelier ;
ja , ich weiß ,` Verweildauer ´……
andere Gäste , längst auf Lauer ,
( lächeln noch , schon länger sauer ) .
14
Rette sich wer kann !
heißt : Rette von der Welt , was Dir möglich ist , rette durch Dein Sehen , Dein Nennen . Bringe Dein Gewicht auf die Waage .
15
Metro Roulette ,
das Rad dreht weiter ( spät) ;
Hauptgewinn
ohne Uhrzeigersinn ,
das Rad dreht weiter ..
Kaleidoskop ,
Nachspielzeit als-ob
( ach wäre man Wegbereiter ).
16
Im intimen
Theater Rue Bréar :
Die zwei Sängerinnen
gestern im Cabaret , Tanz –Mimen ,
der Welt besänftigendes Spiel ;
von vielem ein bisschen ,
von nichts zu viel ;
ihr Lächeln ohne Rutschgefahr ;
Absacker später an der Bar .
17
Zärtlichkeiten
im Petit Palais : In Limoges-Email , pointilliert bei Vuillard ; Krippenlicht in den Vitrinen , Elfenbein-Haptik , Fingerspitzen leben .
18
Nahtod-Erfahrung ,
mindestens jedenfalls der Gedanke :
Ein letztes Mal ?
Farbgebung , Lichteinfall ,
Zufall oder freie Wahl ?
Sinnsprüche , Beobachter
von Chinoiserie und Filigran ;
eine Prise Augenschein ,
zärtliche Kälte von Porzellan ;
priesterliche Schritte in Würde
dann unter Tablett in der Cafétaria ;
bringe die Geschenke
für Josef , das Kind und Maria .
Mindestens jedenfalls der Gedanke :
Ein allerletztes Mal ?
Farbgebung , Lichteinfall ,
Zufall oder freie Wahl ?
19
Im Cocon eingesponnen von der Kultur des Dix-neuvième ( Empire bis Fin-de-Siècle ) ; Cancan wie Beschwörung , ich klammere mich an Schibboleth , Sesam , Lichtdunst jenseits Sozialer Frage , Commune und Dreyfus .
20
Beschweren wir uns über freilaufende Kleinkinder im Museum ?
Sein wir doch froh, dass nicht nur Bildungsferne Kinder kriegen ….
21
Echtheit ?
Sagten Sie gerade : `Echtheit ´?
Nicht jeder sucht sie , die meisten Leute setzen sie einfach voraus .
Was auch sonst als ` Echtheit ´ durchgeht , in Paris ist es Glücks-oder Definitionssache : Echt ist schließlich irgendwann auch die Kopie , etwa
die von Prousts oder Gauguins Szenerien .1880 wurde doch auch schon kopiert , müssen Sie zugeben . Dieser ganze Ägyptenkult .Und später das `George Cinque ´, nur zum Beispiel .
Man muss sich Schliemann als glücklichen Menschen vorstellen .
22
Métro : In Zugluft verflogene Duschfrische ; ein Sardinen-Express ! Türgleiten wie Kulissenschieben , wie früher mal die Rechenschieber .
23
Père Lachaise : Frisch gewaschene Nekropolen , daneben Matsch und Unkraut , Trauer und Trostversuche , den Hang hinauf eine Lawine von Nicht-Mehr .
24
Spiegelglatt dieser Blick , der einer Schönen ausweicht , das Auge gleitet über alles , findet keinen Halt , will auch nirgends haften , der Blick ;
weil er zurück will zur noch unbelästigten Schönen , die das Spiel mitspielt , auf nichtsahnend macht ; auch ihr Blick ist zerstreut , un-zuhause .
25
Anderer Beweis für Dürftigkeit im 19. Jahrhundert : Die Stofflawinen , knöchellang für Öffentlichkeit und Fotograf , noch im Negligée die Frau erstickend .
26
Nesselstadt Paris , zittert in Aktion-Reaktion , flammt mehr als schwelt , Zundelfrieder-Paris .
27
In der Métro abends viele müde Schwarze ; Mamas und Papas , zittern
sie geschaukelt . Unermüdlich dagegen die freundliche Litanei :
“Mind the gap between the train and the platform!!”
in bestem Queen´s English . Vielleicht hat dieser wohlerzogene Sprecher aus Oxbridge schon Millionen verdient , wenn nur sein findiger Anwalt die millionenfach verwendete Ansage in allen Metros der Welt einklagt :
“Mind the gap between the train and the platform!!”
MEINE Stimme , MEINE Rechte .
28
Eleganteste Damen ! Mit hin-, oh hinreissend vielversprechendsten Beinen…
und : Ledernem Klumpfuß …
So will es die gegenwärtige Schuhmode , in Paris entschiedener als sonstwo , abgekupfert durchaus von Neo-Nazi-Springerstiefeln .
29
Paris als Campingplatz : Zeltbahnplastik der Obdachlosen , unter Fin-de-Siècle Eisenbahnbrückenguß am Canal St.Martin ; in ewiger Erwartung von Sommer .
30
Supergau im Hotel Celeste !
Bei Kaffeemaschinenausfall :
1 Automat für 100 Gäste…
katastrophal !
der Stau der Vereinten Nationen ,
die alle hier wohnen ,
ein einig Volk von Brüdern …Ich repräsentiere das Volk der Dichter und Denker , lassen Sie mich durch , bin Dichter und Denker und Kaffeemaschinen-Erst-Recht-Nicht-Versteher .
Waren SIE auch dabei beim Kaffee-Maschinen-Desaster von 2022 ?
31
Weltbürger-typisch :
Man ist ein bisschen…( ) erprobt
müde , resigniert .
32
Selbstmordverhinderung auf elektronisch !
Da hat es hier Schranken an innerstädtischen Metro-Bahnsteigen . Merke : Außerhalb gibt es keine Selbstmorde ! Oder die Autoritäten fürchten dort keine Negativ-Presse .
Innerstädtisch haben einst die nicht-verhinderten Selbstmörder eine große weltstädtische Besucherbühne gesucht für ihr letztes großes Coming –Out .
33
Wimmelbild allhier : Triumph und Scheitern der Familien .
34
Liberal gehandhabte Maskenpflicht in der Metro . Mindestens eine (1)
Personengruppe begrüßt diese administrative Restriktion :
Die Prominenten !
die schon länger unter Anonymitäts-Entzug erleiden .
35
Das Tellerwäscherlächeln
der hiesig frisch Verliebten
mit den federleicht ungetrübten
Worten und Gesten ,
vom Voyeur umsonst zu haben…
ach , weiter Sprung über biographischen Graben ;
wohl mehr als 50 Jahre…
immer wieder neu dies einzig Wahre !
36
Im Café Sélect ( oder : Squelette ?!) im Hinterglas- strassenwärts- Wintergarten warten wir Flaneure auf die Zeit vor der Erfindung des Wartens .
37
Paris :
Die Stadt der Gewichtheber ! Die Preise hier sorgen dafür , dass ich jedes zu ernährende oder transportierende oder unterhaltende
Gramm meines Körpergewichts fünffach spüre .
38
An besagter Selbstmord-Schranke : Wo kämen wir hin , wenn jeder – sagen Seelsorger und Therapeut – stolz sein wollte auf irgendwas ? So viel Stolz gibt es gar nicht , sprechen wir da doch wohl von einer limitierten Menge , nicht wahr ?
Lasst die Toten die Toten begraben .
39
Meine Erinnerung , mein Mosaik ,
mein Handschuh von Fehde ;
Groteske und Karikaturen ,
sortiert schon im Blick ;
unaufdringliche Spuren …
wovon war doch die Rede ?
40
Metro : Ein Buttermessergleiten in Treulosigkeit .
“ Sie sind übrigens mein dritter Sitzpartner seit Montparnasse .“
Im Nachbarabteil ein Vater mit drei Kindern ; er ist blind , merke ich an seinem Tasten per Stock .
Dann wieder schwarz-virile Stimmungskanonen .
41
Passagen- passend !
Am Haus des Südsee-Entdeckers Bougainville ( als Entdecken noch geholfen hat !) :
die passierenden Autos ,
mehrzahlig Elektroschlitten ,
kommen leise vorbeigeglitten ,
verhuscht und teuer .
Bougainville verschweigt seine Abenteuer
(2. Arrondissement , Rue de la Banque ) .
42
(daselbst )
Der Mafia-Boss dirigiert seine Netz-Connections ,
ein Dichter empfindet mannig satisfactions –
jeweil mit Stil und Distanz ,
jeweils in kühler Eleganz .
43
Amerikanisch : Diese Sprache , wie hier öfters (!) zu hören , hat –
will mir scheinen – aus seiner Artikulation jede Klangfarbe von Zweifel , Melancholie , Meditation gelöscht .
In ihr artikuliert sich , so der Dichter , nur noch freudig-ekstatisches Predigertum à la : Zugreifen , bevor es zu spät etc .OMG .
Oder : Deutlich gelangweilt sein , meine eigene Geschichte langweilt mich schon zur Genüge , let´s be cool .
44
Tastaturen aller elektronischen Art : Schnell- egalitäre Sensen im Blumenbeet der Kultur .
45
Wüste : Drohen , in einer Dühne
zu verschwinden und versickern :
Dünen von Tastatur-
Tunnelblickern ….
Persönlichkeitsstruktur :
Reif für die Bühne ,
irgendwas zwischen fickrig-sickrig-mickrig .
46
Paris : Ungezählt viele nervige Sollbruchstellen , unermessen viele freakig-spleenig-farbenfrohe Lösungsvorschläge .
47
Materialermüdung
oder was Gertrud Stein seinerzeit nicht meinte : Die Banlieue nordwärts etwa , Pierrefitte …überall , rechts wie links , bezahlbarer Wohnraum für alle .
Hoch und weit die Häuser in Villiers-le-Bel : Keine Stadtmauer mehr wie einst , aber ein Wall frischer Hochhäuser mit Baukran vor schnell beginnender Agrarfläche , vor Waldrändern in die Abendstimmung
hinein , am Nachmittag vorbei .
Dörfer und erleuchtete Autos machen in der Landschaft freundliche Angebote von Heimkehr :
Nehmt von , habt Anteil an
unserem Überschuss .
48
Im Thalys-Hochgeschwindigkeitszug ein alter Schaffner
(Bruxelles-Liège ) , die Krawatte deutlich unkorrekt und lustlos ; Brille und müde , wenige Jahre vor der Pensionierung ; wie lange mag er schon Reisenden zugesehen haben .