Lyrik & Foto

Vom Kongress der Pflichtverteidiger zu L.

 

Portugiesische Stenogramme

 

 

1

Die Schöne am Gate fordert : Ausweise bitte !

Verkehrte Welt !  würden wir doch allzu gern mehr über SIE wissen !

 

Babylon am Flughafen , Gate 7  , Flug nach L.  : Die Gattung in so vielen Lettern buchstabiert . Beim Einchecken , fast wie seinerseits zur Titanic , ein Tribunal der Wartegesichter . Babies , die nichts verstehen , denen man keine Wahl lässt . Menschen wie Sand am Meer . Ihnen allen verzeihen .

Die Stewardess verkauft dann Lippenstift , auch Herrenparfüm , letzteres für nur 24,95 Euro .

 

 

2

Der Kongress in L. , in einer Stadt brüchig kristallig verharscht bröckelnd getürmt gekantet ; die Welt findet sich in einen überladen schön geschnitzten Beichtstuhl gepfercht. Lissabon das Tor zur Welt ; Lieferengpässe eher selten .

Exotische Vögel , die sicher immer schon mal nach Europa wollten , zieren unsere Hotelzimmerwand .

 

 

3

Ich , alt und runzlig , passend zum Chorgestühl ; einige nennen es

Profil , andere Runzeln .

 

 

4

Ein Drachenbaum im Jardim Botanico de Ayuda  greift mit großen Schwimmflossen als Wurzelwerk ins Land , auf und abtauchend Pflugscharen gleich ; der Drachenbaum aus Madeira da weit draußen

gebärdet sich als Konzertmuschel ; der untere Stamm in riesige Falten geworfen .  Botanischer Schattengarten , beschwichtigend vor der Hitze geschützt . Humboldt  , erinnere ich mich ,war ein Mensch , der der  göttlichen Schöpfung durch Dankbarkeit gerecht wurde .

Die Bäume grasen friedlich nebeneinander in den blauen Himmel

hinein .

 

 

 

 

 

 

 

5

Die Trottoirs hierher sind wie weich , aber fest , im Seifenglanz polierten

Pflasters . Das meint einen Stapellauf von Schiffen . Zuckerbackfassend und wachshaftende Haut : Die Stadt , wenn sie nicht brennt , klebt  am Hügelwurf hinab zum Tejo .

 

 

6

Klebrig auch die portugiesischen Beschwichtigungen am Nebentisch .

Ich sitze unter einem schattenüppigen , gewrungenen Dachbaum und denke : Portugiesisch ist eine Mischung aus Schwyzerdeutsch und mauligem Russisch .

 

 

7

Dies ist mal ein Land für mein Incognito ! Es wäre rentnermäßig unfair , von ihm zu verlangen , es solle alles wenden . Obwohl es Paradieszüge an sich hat . Ich bin Abel : Im Zeitlupentakt , aber incognito .

 

 

8

The Opium Eaters . The Opinion Eaters . Idyllenausgehungert kitscht sich , was reich ist und schlechtes Gewissen hat ( wir haben ein gutes Gewissen ! Mit 67 sind wir noch entdeckungsfreudig ! ) kitscht sich durch eben noch Abbruchareale . Ostern kitschen wir immer in der Provence

indem wir dort  oh wie schön sagen und guck mal Agathe und so schön ist es in MarlSüd nicht ; aber Mantua ist auch nicht schlecht , sollten Sie mal versuchen .

Vielleicht könnte man den Tourismus als eine Nebenart der Altertums-wissenschaft respektieren , als Archäologie gar ? Wäre da nicht die Infantilisierung .

 

 

9

Prekäre Existenzen  versuchen sich abends im Ausgehviertel Baixa als Parkeinweiser : Akrobatisch lange Arme , als wollten sie mit Bällen

jonglieren  .

Krieg der Welten : Oben die Rosinenbomber , die treuherzig weitere Pilger ankarren ; unten , weit unterhalb der Einflugschneise, nuschelt es , denn die Portugiesen : Die nutzen die U-Bahn : Sie kennen oben schon alles und unten gehts schnell .

 

 

Dazwischen im weiten weiten Lissabon das Zwischenreich , das Auffangbecken des Homo Americanus .

 

 

10

Die Schöne mit fliegenden Röcken ( dafür hat Lissabon immer

Wind ) : Bitte bleibe so und nähere Dich ;

 

bleibe halb bekleidet

und lasse Dich begatten ,

von Blicken beweidet

in unsäglicher unerträglicher Balance  .

Wer hätte da die Chance etc

 

ich ergreife sie nicht .

 

 

11

Wann immer er etwas vollends entsetzlich fand ( etwa eine eben noch faszinierende Frau , die sich jetzt , zwecks fotografischer Aufnahme , in die Falten eines Säulenreliefs an der Igreja Santa Clara legt , lasziv wie

gerade gelernt , kuckuck !  schmachtendschmollendschminkig ) , so

griff der Pflichtverteidiger  einfach zu der Aussage : Schlechte Haltungsnote .

 

 

12

Der Tejo streikt ! in heiterster Saphirlaune , trägt er heute kein Schiff , tat dies in der Vergangenheit wahrlich oft genug . Heute  ist er nutzlos und gut gelaunt dabei wie ein Fitnessstudio , bietet Widerstand dem zähen Blick wie zum Spaß .

Der Blick will Karavellen , die anlanden wie nach einem gewonnenen Spiel , nur Leichtes wurde transportiert ; entsprechend unverletzlich war ihre Fahrt , scheint es , nur ein Vorschlag , eine papierene Leichtigkeit  aus Hanf , Leinwand , Holz . Man weiß , auch Kanonenkugeln rollten an

Deck , Geschützrohre beschwerten den Kiel, in der Last Zuckerrohr aus Brasilien , Kattun aus Kalikut .

Flugzeuge werfen ihren Schatten über  die Hügel im Süden und die Alcantara-Brücke .

 

 

 

 

 

 

13

Bergauf bergab in der Sieben-Hügel-Stadt

bergab

als gälte es Verfolger ab-

zuschütteln bergauf

auf einem Hügelknauf

 

sind eidottergelb die Lampen zu glitzerndem Kopfsteinpflaster ; aber

nein , die Steine sind nicht regennass ; es regnet hier im August

nicht . An mancher Ecke ein Ladenverschlag , ein Geheimtip , Familien, die immer noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind , betreiben einen Familienbetrieb .  Es ist noch windiger geworden , auf dem Atlantik draußen übt schon der Herbst .

 

 

14

Der Hubschrauberträger A 140  wird sanft unter der Brücke des 24. April aufs Meer herausgezogen . Einst `HMS Ocean´ , jetzt , in der Familie  quer über den Meersflur geblieben , die brasilianische  `Atlantico ´, Heimathafen Rio de Janeiro . Ein unaufdringlich sanfter Riese in BlauGrau , hat er doch noch Platz unter der Brücke . Zwei Ingenieurs-kunstwerke kreuzen den Weg .

 

 

15

Mir fehlen die Worte ,

andere haben sie alle schon gehabt ,

in einer Kulturhauptstadt

ist nichts verknappt

ausser Kultur

die ist gehypt

am Ende des Steuerjahrs  wird gezählt

was übrig bleibt

 

( so des Pflichtverteidigers Textvorschlag für einen modernen Fado ) .

 

 

16

( inspiriert durch die allgegenwärtige Pessoa-Mode )

die Sonne spiegelt

auf dem gelben Autokühler ;

 

 

 

der spiegelt vor Hitze ,

spiegelt Leere wie ein Spiegel ;

er füllt Leere , dieser

Spiegel .

 

 

17

Mannigfache , phantasievolle Besucherbewegung bergaufhügelab

flusslängs zu bestaunen , sie treiben es wie die Schmetterlinge .

 

Manches am Rummel wäre schwer

zu verkraften

verfügten einige der ergriffen innehaltenden Besucherinnen nicht

über angenehme physische Eigenschaften

 

( ich denke da an Busen , Beine , Ärsche ) .

 

 

so wirbelts in allen

Farben und Sprachen

von jenen , die hier

Urlaub machen .

 

 

18

Der Photograph

macht Bilder brav

und allerorts gibts Selfies vom handy

in jedem Geländie  , für jeden Effendi

allüberall Photographen

(incognito !) die zu Verwirrung wie Unkenntlichmachung

viele neue Steckbriefe schaffen .

 

 

19

ach ja blinken die Azulejos

 

per Kachel zum Schwamm drüber

Beichtstuhlgebete

auch für den Schlachthof

woselbst Rind und Schwein

 

 

 

Wert darauf legen , keine Spur zu hinterlassen

hier solls nicht dauerhaft blutig sein .

 

 

20

Der Dichter wütet gegen Pornographie  : Dass Worte dabei fast nie eine Rolle spielen ! Wie Begegnungen jener Art sich anbahnen , in Blick , Kleidung , Bewegung , ja in Worten ! Ja gerade auch Blinde sind gute Liebhaber !

 

 

21

Der Fremde und die Stadt . Die Stadt nutzt Fremde im Idiotentest : Was schief gehen kann ( vor Fahrkartenautomaten etwa ), geht auch schief .

 

 

22

Kalt schlägt  der Wind vom Atlantik . Was er mit Röcken und Blusen tut . Die Stadt des Windes , äolisch , wo Wind seine angestammte Berechtigung hat ; damals trieb der Wind Karavellen nach Goa  .

Heute werfe ich ihm seine Geschwätzigkeit vor , sein Insistieren , der Schatten des Windes  über allem , was sich bewegen kann , auch auf meinem Tisch die Serviette .

Wind : Der große Abfrager , Betaster , Inspektor , Garnichtsglauber , Fummler , Morser , klebrig , kratzig ; dabei manchmal eben auch kalt .

 

 

23

Die Treppenplissées von Lissabon –

Bandoneon-

rippen wie zwischen Ein-und Ausatmen

Treppe wie Lippe zwischen kariösen Zähnen

Treppen wo sich Häuser über Hügel dehnen

Treppen an Bergen lehnen

 

 

24

Saudade-Studien .

In der U-Bahn , also unter Portugiesen . Ein Mädchen mit tieftraurig

 

 

 

 

verloren verhageltem Blick . Auf dem T-Shirt steht zu lesen

 

 

`Enjoy the day ´.

 

Wir fahren zum Gubenkian-Museum , dem schönsten was die Welt zu bieten hat . Vorher ereilt uns die Traurigkeit : Ein Blinder tastet durch die U-Bahn , wiederholt seinen Sammlerspruch ; er ist sorgfältig gekleidet ,

trägt Hose mit Bügelfalten und weißes fleckenfreies Hemd . Niemand gibt ihm Almosen .Bei San Sebastian steigen die meisten Gäste aus und drängen der Avenida entgegen ; der Bettler bleibt unten , wechselt nur über die Treppen zum Bahnsteig gegenüber .

Die gleichen Leute , die jetzt keine Spende gaben , haben eben noch einer Schwangeren aufwendig einen Sitzplatz zugetauscht .  Das fanden alle zusammen gut .

 

 

25

Im Museum

 

Hubert Robert , der Ruinenrobert . Ruinen einmal anders herum :

Bauschutt , wie er beim Roden und Fundamentieren entsteht ;

Versailles vorab , im Vordergrund Aristokraten ( rechts ) und BauernHandwerkeretcvolks rechts .

Guardi ! zu erkennen aus Abstand : Alles Weiß ist Leichenhemd , durchkämpfte Laken , Schweißtücher der Veronika , gelüftet über

Capriccios oder Bauwerken , an denen der Zahn der Zeit nagt ,

Windmalerei .

Corots unweigerliche Birken mit scheuen Menschenschatten wie auf Daguerres Bildern , verhuscht , resigniert .

Lalique hinterließ uns Nachjugendstiligen Broschen ; auf Edelmetallen gezeichnet etwa ein Walkürenritt .

Ich bin angesichts dieser Schönheit verstummt wie auf einem Verbrechensschauplatz , Tatort ,wenn Sie so übellaunig wollen .

Hier und heute sei der Museumsbesucher die Antwort auf listig gestellte Fragen im Bild ? Die Bilder lassen mich , leider nicht andere , verstummen , ich habe genug gesehen und kann jetzt sterben , oder ich werde wiederkommen , wenn ich dieser Kunst gerechter werde , wenn ich es verdient habe ( so die optimistischere Variante ) .

Das schlechteste Souvenir aus egal welchem Museumsshop : Der Drang zu fotografieren . Das beste : Eine Uhr .

 

 

 

 

26

Schreckliche Musik vor dem Fenster . Bob Dylans `Blowing in the Wind´

rewarmed , Emphase lauwarm . Ich lasse beim Weggehen die Fenstertüren weit offen stehen , hoffe dabei und aber , dass die Musik keinen schlechten Geruch im Zimmer absetzt .

 

 

27

Verballhornisierung

 

einer Stadt mit L.

Las Vegas ? Da warn Sie zu schnell

 

da gabs mal Fado und Saudade

viel Geschichte in alter Schublade

 

Stadt an einem Fluss mit `T´? Tiber ?

denken Sie drüber nach mal lieber

 

in einem Land mit P `Panama ´?

Ich mein nur weil da warn wa ma .

 

 

28

St . Jeronimo zu Belem : Das Kekskloster , teiggebläht .

Woselbst ich einen Orden aufmache : Den der Nicht-Fotografierer .

Der heilige Daguero würde in meinem Sinne sagen : `Ihr verwechselt Fotografieren mit  Atmen !´

Die Menschenmenge ist der Höllensturz der Ramscher . Nur die Geisterduplikate der hier verschufteten Maurer und Handwerker ? Sehnsucht und Stein ergaben damals : Sehnsucht nach Sinn . Heute : Sehnsucht und Selfie . Früher gab es Kartoffelferien , als die Kinder den Eltern beim Ernten helfen mussten . Heute gibt es Selfie-Ferien , bei

denen der Nachwuchs den Eltern beim Photogestelle zu Diensten sein muss .

 

 

29

Globetrotter

kennen Harry Potter

nur , Walmart-Trotter ,

Raumausstotter :

 

Im Kloster nichts als Deppen

ausgenommen : Schöne Frauen ,

denen ich vorsichtshalber nicht zuhöre ,

die mich aber hindern abzuhauen ;

 

ich rufe ihnen mit   geistigem

Klammergriff zu :

You too?

Me too !

 

 

30

Wir sind süchtig nach Anachronismen  ; jeweilige Bilder sind die Quartiermacher .Was schön ist wird Geschäft ; wo Schönheit sich

wittert , soll Geschäft werden  . Der Bilderboomerang an der Hochschule für Touristik ; Brandrodung für Einkommenskommerz .

Gaumenkitzel : Hier passt noch ein Euro mit etwas gutem Willen , und die Rosinenbomber  liefern im Minutentakt  die Fliegen .Wo gibts hier noch die Oma , die Gemüse ( ver-) kauft ? Nur wenn sie simultan Lifestyle anbaut .

Wir sind süchtig nach Anachronismen , weil ohne sie die Gegenwart nicht auszuhalten wäre . So wie die Sauerstoffflasche in der Tiefsee , hier was wir an Patina im I-Phone unterbringen können : Ohne des gahts

halt net .

 

 

31

Diese Tage wie das Segel auf dem Tejo :

Geflickt , und hält !

Flickenteppiche halten länger

geschlagen , mit Stolz

gegen Bedränger .

 

 

32

Trashmusic :

Verpflichtet auf die Hymne ,

und jetzt alle !

Nein , auch Sie !

Sie sitzen mit in der Falle .

 

 

 

 

 

Endemisch

der Kitsch ,

klebriger Zuckerquetsch ,

  1. ( oder doch :XXL ?) dabei die Veranstaltung

die Verunstaltung .

 

Betreffs Veranstaltetem fällt da noch ein : Es war einmal ein Teufel .

Der ließ einen Künstler schaffen , ein Meisterwerk nach dem andern ,

ließ den Künstler aber auch verhungern ( mangels Nachfrage unter den Zeitgenossen ) . Damit laaaange nicht genug : Nach van Goghs Tod  hieß der Teufel den Maler auch noch zuschauen , wie seine Werke zur Event-Diarrhoe werden . Wahrlich ,

 

ein Teufel , der sein Werk versteht :

der Mensch stirbt ,

das Werk besteht ?

Hah !

Erst lässt er Mozart verhungern ,

dann das !

Das sähn Künstler zu Lebzeiten ungern .

 

 

33

Doch :

 

Der Kitsch ist schmusig ,

der Kritiker eher heulsusig ,

 

seht Euch die zerknitterten , aber unermüdlichen Weltenbummler an , wie sie diese Stadt noch in ihre Biographie knautschen :

 

Siehe Nebentisch :

Auch dort schallt es unfrisch

 

durch die Alfama , Berg und Tal , eine Stadt fast in der Senkrechten ;

ein senkrechter Wühltisch sozusagen . Die Lädeninhaber  meinen dazu drein :

 

Auch in den Hügeln gilt :

Not kennt kein Gebot

auch nicht

in dieser Stadt im Lot (?)

 

  1. oh Stadt der Hekatomben

Stadt der wandelnden Zomben

Stadt sich zierender Rocksäume

Pusteblume ( sic !) der Männerträume .

 

 

34

Der Fähranleger wartet auf Nilschlamm , vielleicht auf Evolution  . Es ist Ebbe , der Eisenponton kommt nicht am Schwimmenbleiben vorbei und dümpelt den abziehenden Wassern nach . Ein Brillenverkäufer wartet auf  Abnehmer , beneidet vielleicht die Gezeiten . Große schwere Möwen ziehen , Fernfahrermöwen . Als das Schiff in Cracilhas anlegt , sehen wir

 

Beton , Algenebbe , den Zahn der Zeit :

Komposthaufen

der ideale Ort für skeptische

Schiffstaufen .

 

 

35

Wo bleibt das Positive ,

Herr Hans ?

Das lass ich der Reklame ,

die kanns .

Schön froh zahnselig

die Frau von Lavamat

ach zeigte sie sich

dabei im Spagat

zeigte nicht nur Lippenrot

und Tittenpaar

kein Preis den ich nicht gleich

beglich , zur Not auch bar .

 

 

36

Am Nebentisch Vorratslachen

haha hoho hihi

wer weiß wie lang der Vorrat reicht

man weiß ja nie

 

 

 

 

 

 

da heißt es sich eintakten

kleckern und klotzen unisono

Staffelholzweise Jokes

Du bist dran- Niveau

 

hihihoho

wir sind halt gut drauf

den Misanthrop nebenan nimmt

man gerne in Kauf

 

 

37

Nicht zu beneiden diese Jeunesse

Dorée , vor dem Gesetz sind alle halbreich

Disko ? Beach ?und Safer Sex ?

Nur in L. gibts es alles zugleich .

 

( sagten Sie L ? Gibt es das nicht auch in XXL?)

 

 

38

Ein Fährenpfeil bohrt sich ins Fleisch der Tejo-Mündung ; ein Bündel von Stromlinien am Schiffsrumpf nagelt Vitesse , pinpoints Acceleraciau  .

Nein , hier ist nicht der Ganges , nicht Benares :

 

Am Bosporus ist drüben: Asien .

Ganz nah !

Hier ist drüben Cracilhas

oder Amerika .

 

Das Meer netzt die Ufer in Liebkosung ; es ist Flut . Boote wiegen sich bedächtig : Ja…nein….einerseits…andererseits …Europa oder Brasilia ?

 

 

39

Diese Henkerskarren 1794 :

 

Gierige Blicke trinken

zum letzten Male Weltteilhabe

Tuctucs in L. zerren Selfie-Migranten

beileibe nicht zu ihrem Grabe

 

 

die Köpfe rechts ! Avenida

Liberdade : Ihr seid dabei gewesen

wart Ihr jemals krank ? oder seid

ihr schon geboren als genesen ?

 

 

40

Alle diese arrogant Beschriebenen sündigen , weil sie so tun , als ob sie nie Gnade bräuchten . Gut drauf. Jung und leichtfertig etc .Sorglos , als könne ihre Welt nicht untergehen , als könnten sie gegenüber dieser Auslassung Haltung bewahren : Ein Leichtes !

 

 

41

Aber die Liebespaare haben es wenigstens versucht , haben es

verdient , haben Schwerkraft und Leichtigkeit auf ihrer Seite ; ihretwegen gibt es an der Schule Geschichts- und Musikunterricht .

 

 

42

Die gut geföhnte Hälfte der Menschheit

macht auch sonst auf Eckart Henscheid

 

macht auch sonst auf human zoo

Ausnahmen nur ich und Du

 

von Zeitgenossen roter Haut

bei denen sich der Urlaub staut

 

und über mir ein schöner Park

aus diesem Holz dereinst nenSarg

 

Oh Lissaboner Fliege

Spitze der Intrige

 

Fliegen ! was findet Ihr nur an mir ?

ich bin wie jeder andere hier

 

 

43

Die Stadt auf den Hügeln sprudelt vor Kulissen

wo Menschen sich Text denken müssen

 

 

am schrecklichsten die Straßenbahnen

nicht so wie auf den Andamanen

 

Familien hier in Reparatur

Versuch zurück in die richtige Spur

 

 

44

Sagte ichs schon ?

portugiesisch

wie eine Mischung aus russisch

und Schwyzerdeutsch

jedenfalls akustisch

 

 

45

Portugal findet sich eingebettet in , angereichert durch :

 

Meine Kinderbücher ; ohne diese gibt es für mich das Land nördlich der Algarve nicht .

 

Wie sehn Portugiesen

ihr Land ohne

meine Geschichten

ein Land das ich nicht bewohne

Kinder können hier ruhig schlafen

der Dichter findet hier nicht statt

in einem Land das ergo keine Sorgen hat

und die Kinder träumen von Schafen ?

 

 

46

Der Zug schraubschnellt sich nach Norden

durch enges Kurvenmäander

fliegt mein Alphabet durcheinander

nach Porto ! ( von Lissabon )

rennt die Grammatik davon

 

 

47

Neulich traf ich auf Herrn Schlemiel

der neben mir aus dem Himmel fiel

 

 

 

Germans to the front

sie trennt nur eine Wand

von meinem Zimmer

nibelungentreu wie Schatten

( wir dachten , dass wir sie verloren hatten !)

irgendwo sind sie immer  .

 

 

48

Ach diese Ruhe !

Nie herrscht so vollkommene Stille

ist Ruhe so prinzipiell

als wenn Herr und Frau Maier

sich im Streit anschweigen

sich kein Wort gönnen

tun als ob sie sich nicht kennen

wir haben Streit und sehr viel Zeit

der Liebhaber der Stille

lauscht dabei dem Krach der Grille .

 

 

49

Hier ! Nein hier ! Da ? Eher da , oder ?

DA ! genau ! passt noch ein Krach !

Und der Lotterie-Ausrufer bei San Bento

ruft uns nach .

Uns !

 

 

50

Recht habt Ihr Schönen ! lächelt rot in die Selfies ,

so schön werdet Ihr nicht wieder

Selfies vor Sonnenuntergang hinter dem Douro

auf der Brücke hoch über den Möwen ,

Räuberhöhlen hoch über uns

so schön werdet Ihr nicht noch mal

schwindelhoch über dem Douro-Tal

auch nicht beim Selfie morgen wieder

Wind um Rocksaum und Unbiedermieder

Recht habt Ihr abwinkenden Schönen

und keiner hat Zeit sich an Euch zu gewöhnen

 

 

 

51

Man muss auch gönnen können ! Dieses Jahr fährt Familie Lohmann nicht ins Ausland .

 

 

52

T-Shirt-Aufschrift , fast eine zwingende Kaufversuchung für den Dichter :

`I speak fluent Sarcasm ´.

Ansonsten sind T-Shirt-Aufschriften immer wie Signale in Richtung Weltraum : `Wir sind intelligent . Seid Ihr es auch ?´

 

 

53

Männer haben gegenüber Frauen immer einen Meter Blick-Vorsprung

( wodurch sie Frauen zu Unschuldslämmern machen ) .

Schöne Frauen wissen nicht , ob sie blind sind , oder nur so tun wollen .

 

 

54

Klarer Fall von Material-Ermüdung

im Palacia de la Bolsa

 

und die Schwyzer im Café Brasileira

machens dem Dichter nur noch schwerer

beim Pointenzünden Wortefinden

finden von Wörtern

Daseinsverhärtern

Dichter oh die ewigen Märtern

 

oh auch Franzosen

Augen weltweit für Preziosen

Skandinavier

tun so als wärn sie hier

Holländer

die Baedecker-Seiten-Wender

Briten

mit Einkauf in lustigen Tüten

Amerikaner

daneben Japaner

Deutsche

im Dienst an der Peitsche

 

 

ja lauter hiesige Passanten

wie sie Dichter über-, ab- und ent-mannten

Spanier

(ich vergaß : auch Pakistanier )

Möwen

laut als seien  sie Löwen

Portugiesen

mit dem Konto in den Miesen .

 

 

55

Zwei- Staaten-Lösung :

Die Strandöde von Matosinhos für die Portugiesen (=a ) ;

die Altstadt  für die Rechtgläubigen , die alles richtig gemacht haben , also als Franzosen , Deutsche und  Russen geboren wurden und –in Brocken – Amerikanisch können (=b ) ,

 

Okkupanten

die bis Abflug alles ins Photo  bannten

danach alles kannten

Portugiesen ( Ex-Explorer )

jetzt in der Diaspora : Schnorrer !

Zwei- Staaten-Lösung halt .

 

 

56

Porto krümelt die Hügel hinunter

uns zum Gruß

hinter der nächsten Terrasse :

Der Fluss ;

die Stadt bröckelt in Falten

2 mal , 3 mal , 4 mal

bricht steil und springt in Salten .

 

 

57

Kirchentürme aus Asche

hinter Delfter Blauweiß-Kacheln

düster schwarze Fassaden

in Rokoko- Kurven

und Klassizismus-Geraden

Harlekinaden und Eskapadenporzellan

 

 

werfen mir vor :

Wann fängst Du endlich zu zeichnen an ,

Du Fischer von Menschenwerk ?

 

 

58

Zeichnen und Fotografieren :

Kunst gelingt manchmal beiden ;

was beide trennt zählt viel .

Der Zeichner sitzt  wie in einer Sexkabine

der Fotograf schafft sich die leere Bühne

kann Menschen das Sehen verleiden ,

für den Zeichner ist der Weg das Ziel .

 

 

59

Ich greife in die Saiten der Uhr

es ist morgens

das Papier ist leer

so muss es sein am Ende der Geschichte

der Startschuss hätte keinen Schatten ?

 

 

60

Angesichtig der vorbeiströmenden Masse in der Ribeira von

Menschen , die sich nicht finden können und wollen ; frisch Verliebte , die sich in der Lotterie fanden oder noch nicht verloren haben :

Der ( nach Nietzsche ) letzte Mensch träumt von einem trennscharfen Zensuswahlrecht , einem Nadelöhr : Wer durch darf : Die Leser , die Christen , die médecins sans frontières .

 

 

61

„ Unterschreiben Sie hier ,“ sagte die erschöpfte Stadt .“ Okay ,“ sagte der Motorradfahrer und gab Gas : Ähhhhmmmmm Ähhhhmmmmm .

 

 

62

„ Do you speak English ?“

„ Yes , of course !“

 

Glatt gelogen! Die Durchschnittselite der Jugend spricht Amerikanisch ,

 

 

also übergriffig informell , wegwerfend im Gestus , konsonantocid ;

machen aus dem Wort `dollar ´ irgendwas geknautscht Monosyllabisches , auch aus `museum ´ .

 

 

63

Hauptberuflich :

`not amused ´-

Trifft sowohl Dichter wie karriereknickgeschädigte Mütter .

Der Dichter entkam gerade einem schnuckeligen Blechwaggon der hiesigen  Straßenbahn , aus dessen herabgelassenen Fenstern

( Gartenlaube ? ) Väter einen anfeuernden Chorus ihrer Kinder organisierten . HeppHeppHepp !

Wieviele dieser Besucher , denkt der umkämpfte Dichter , machen bestmögliche Miene zu bösem Spiel ; sind etwa Eltern , die krebskranken Kindern ein letztes Familienerlebnis ermöglichen ?

Witwen , die wieder auf die Beine kommen wollen ? Söhne , die etwas

Gutes an ihre senilen Eltern zurückgeben möchten ?

 

 

64

Salzdunstsonne über der Stadt , Saphirbrüche am Atlantik , dieser Beatmungsmaschine ; das Meer will Douro werden , schiebt Saphir-Tintenglanz  ins Land

 

 

mit weißem Schaum vorm Rachen .

Der Wind dazu mit 100 Sachen .

 

Felsentrums vor dem Strand

wie immer angekettet

dass die Dünung ihren Zahn an was zu wetzen hat .

 

 

65

Es herrscht Vollbeschäftigung !

mittels Checken von Apps .

Diese volatile Welt

braucht stete Bekräftigung .

 

Portugiesinnen nebenan , herbhengstig ,

machen sich die Themen abspenstig .

 

 

 

66

Douroboote schippern da unten ,

der Loreley zu Diensten ;

rechts besänftigt sich die Sonne

mit allen ihren Künsten .

 

 

67

Porto ! Verschwenderisch wirfst Du uns Fremden  die eine Hälfte der Stadt zu :   „Da ! Vielleicht hält Euch das im Zaum ; der Rest reicht uns

Portugiesen . Seht Ihr die stattlichen Reihen von Bruchbuden hier , am

schwindelerregenden Hügelrand ? Soweit reicht Eure Euro-Konjunktur nicht , um auch hier noch schnelle Gastronomie Fuß fassen zu lassen .

Gutmütig besuchen wir Euch in Eurem Zoo von Trend und Kommerz ;

Asche und Klinker und Hochhausbeton unter delftblauem Himmel

mit Wolken-, See- und Sonnensicht : Das nehmt ihr uns nicht ! Uns bleibt der Balkon davon .“

 

 

68

Igreja di Carmo

 

Aussen gekachelt , innen vergoldet korinthisch , dazu dazwischen ausgehängt wie Spinnweben im Ameisenhaufen ; Kinder kann man hier  in Golddunkel  und Goldregen taufen : Tintenfische mit Sprühaugen schauen tantenhaft drein , das Kind geborgen in Mutterleibkirche, in verwirrter  labyrinthischer Realität .

Draußen vor schraubt die Straße  ihre Laster durchs Viertel .

 

 

69

Klassizistisch streng : Das Museo Nacional de Suares dos Reis . Wasserwaagengläubig machten die Erbauer jeweils Striche drunter

und drüber , zu stumpfem Giebelwinkel ; Kelche und allegorische Kübel auf dem Dach aber kein Geschnörkel an den Wänden , zum symmetrischen Wechsel der Fensterformen . Symmetrie wirkt als Gerade noch symmetrischer  , senkrecht schnell Höhe gewinnend delhische Halbsäulen und Pilaster . Ein Gebäude von Klarheit und Pombal´scher Aufklärung  : Wie ein Auskunftsbüro .

 

 

 

 

 

70

In eben jenem Museum eine Reihe von Bildern von Henrique Pousao .

 

Darin : Studien und Selbstversuche in Licht und Schatten ! Jeweils

 

eine Beglaubigung für ein Narrativ ,

wo Schatten Leben geben , Leben Schatten

wirft ; wie ein Watt bei Ebbe ungeduldige Saaten

ausbringt .

 

 

71

Barockfassaden

überladen manuelitisch !

Ein Wühltisch

von Eskapaden

 

freundliches Steinezwinkern , Frohebotschaftswinken , fröhliche Saugnäpfe und Moluskenkulturen , Furunkel , Garbunkelkungel .

Im Kircheninneren ruhen Heilige in Schaufenstervitrinen wie gefällte Schaufensterpuppen . Affäre Altäre in Blech , Goldblech , Wellblech ?

Wellness mal anders .

 

Bedeutungsüberhang ,

ich gemeint , ich mittenmang ,

wilde Präsenz

von Quintessenz !

Die Kirchen nicht heruntergehunzt

im Gegensatz zu manch sonstiger Kunst .

 

 

72

Jardim Botanique

hoch über Dourogrün

Zedern Palmen Tempelgärten

Dichter ohne Fortune

mit Spleen

Dichter auf ungegoogelten Fährten

unten am Dourokap

legt der Dampfer ab

Richtung Douroknick

 

 

ein Geschlürf von Smaragd

ein Frageknick

ich mit meiner Biographie untergehakt .

 

 

73

Sir Arthur Wellesley né Wellington hatte für seine Ab- und Heimreise guten Wind , gute Sonne , blauen Äther . Möwen werfen klare Schatten, sind aufgeregt im Wind vom Atlantik heute .

Das ist für Seglers Abreise kein guter Wind aber eine nicht enden wollende Umarmung , die den Abschied verzögern soll .

 

 

74

Winkelmann malt ein letztes Mal

das Aristokratenbein

et ego in Arcadia

Wind bläst vom Atlantik drein .

 

Im Majestic glänzt zum Abschied

die Politur

hier ausser Kraft

die Richtschnur :

 

`Glück ist wo was fehlt ;

( Tip für den , dem Glück was zählt ) ´  .

 

 

75

Krankenwagensirenen je enger die Straße desto aufgeregter ;

stört wo ein Auto

furzt die Sirene .

 

 

76

Azulejos verbilligen sich

delftblau wie vom Tapetenmarkt ,

zu Asche , finsterer Koksfassade

gibts drauf den Kachelinfarkt

 

aber in Würde schön

drinnen das Deckenholz

`Holz ´ wie es reimt auf:

 

 

Schmelz !

 

Holz ein treuer Vordergrund

wie Lebkuchenhund

die Glocke um zwölf drein blecht

um zwölf zum Wind zurecht .

 

 

77

Ich nutze meine schlechte Laune

wie eine Machete

gegen das Überangebot ,

das Zuviel , das Komplette

 

im immer noch weiteren Schatzhaus

in den Felsnischen

beidseits der Brücken

Sonnentrank drüber und zwischen

 

Fels , Kirche , Kapelle ;

mit Russen eine Jahrmarktsdelle .

 

 

78

Diskreter obsoleter Anachoret , Du !

Prolet , Exeget ,

Epigone von Al Capone

Menschenwürdereste rundum

Friedensdividendenkontinuum .

 

Es fällt mir ( ach ja ! ) viel zu leicht , Menschen nicht zu mögen ! Den konkreten Erdenbürger in der Schlange hinter mir  etwa .

 

Ich verzeihe ihnen , wenn  ich buchstabenweit

weg bin von ihnen dann ja

dann wär ich zum Mögen bereit :

Biete Verständigungsfrieden !

Dann dürft Ihr auch weiter in den Süden !

Ich würde dann echt lakrimös .

Ich meins ja nicht grundsätzlich bös .

 

 

 

79

Die freundliche Sonne auf Praca da Flores

als sei die Welt aus lauter Dokumenten

gestempelt etc deren Gültigkeit

die Chefs der Welt anerkennten

 

vor 52o Jahren

ist Da Gama nach Indien gefahren

seither ? trotzdem? deswegen ?

hat sich die Welt verbreitert

 

was wurde nicht alles verschleudert

uns wurde die Welt wie maßgeschneidert

 

 

80

Silberschmieden behämmern stanzen polieren ihr Blech

sie haben am besten die Schattenspiele verstanden

in Türbeschlag Gürtelschnalle

Halsgehänge Früchteschale

Bleichglanz heißt : ` Message sent ´

antigrell , silbern dezent .

 

 

81

Tätowierte Reisende . Gedächtnisverlust hat deutliche unästhetische Komponenten .

In der Abfertigungshalle ( MütterVäterHalbstarkeHalbschwache)

erinnern die Gesichter an Elternsprechtag . Müde , abgestraft , zerknirscht , alle hier , keiner weiter , da wo man ihnen gerechter würde .

 

 

82

Lieber Gott , lass mich Menschen

wenn nicht lieben dann respektieren

und den nichtswissenden Erzähler

alles gut dirigieren

 

ein Krüppel schleicht durch die marmornen Gänge ,

zu Boden geknickt ;

der schaut nicht in die Sterne ,

man hat ihn in die Schmuddelecke gerückt

 

 

wir können so ja nicht sehen

ob er jemals freundlich dreinsieht

es sei denn mit Spiegelblick

das ist nicht mein Spezialgebiet

 

 

83

Daedalus fliegt Touristenklasse zu einem Spezialisten für Darm-spiegelung in die Staaten . Er sagt bei Abflug noch : Was die Technik dem Menschen nicht alles möglich macht !

 

 

84

Busfahrer zu Pilotin : Wir transportieren alle !

( Das wärs dann soweit fürs Sakrale ) .