Lyrik & Foto

Balkan Grill

Bukarest , Dezember 2019

1

Mein Idealgewicht  ! habe nur das nötigste dabei  , man reist mich, ich

habe die Lizenz zum zerstreuten Blick ,

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auch in Düsseldorf Dehrendorf ( Next Stop Airport ) :

Hier war mal einfach : Genug Gegend ,

langweilig viel Gegend , und

man füllte das Ganze da draußen vor dem Zugfenster

konsequent mit Dehrendorf .

 

Graffiti geleiten mich auf dem Weg zum Flughafen:

Swing low , sweet chariot : Gebeult, zerknitterte

Graffiti : Welcome ? Sollte man die Maler vielleicht doch

drastischer bestrafen ?

 

Graffiti als zerknirschtes Angebot :

Ohne sie wäre es hier noch grauer

( These wäre zu überprüfen ) ,

noch derelikter , blass neutral abgelegt .

 

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Und im Airport Café raunt und röhrt

Phil Collins Liedgut ,

passend zu den Schuhen mit Profilsohle ,

die da vom Rucksackträger baumeln

klingeling !

Phil Collins, das ideale Möchtegern –

Profil zu all dem Flughafen-Getue.

 

4

Bullerbü mon amour

 

5

und gelandet in Bukarest ,

im Stadtteil Pajura , das den Winter als Ausrede willkommen heißt :

Wohnmaschinen der 60er Jahre ; Beton-Senkrechte zu schwarzkahlen Bäumen ; Trolleybusse sind lautlose Bewegungsschachteln , Busbahnhof an angenagtem Kioskflachbau .

 

Wir wohnen in einem Hotel , das sich augenzwinkernd will , in den Pop der 70 er Jahre hineingepoppt, grässlich steril eingerichtet . Menschenverwahrung , Menschen werden hier aufgegeben .

Es hätte des Winters wahrlich nicht bedurft .

 

6

Frühmorgens . Der gleiche Beton spannt Sonnensegel auf , über ihm blauweiter Himmel . Im Carrée der Hochhäuser nisten kleine dreistöckige

Wohnwürfel von Intimität , näher am Parkplatz als der 16. Stock , ferner der Fernsicht , näher am Müllcontainer , beäugt von den Hochetagen . Google Earth behauptet , im Sommer sei Pajura ein grünes Viertel . Im Winter belegt die Kahlheit der dichtgemeinten Vegetation über den Parkstraßen : Es sei erst einmal für länger Winter .

 

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Parkplatzgeduld ,

von unten langen Atems

Schlafenden zuschauen

oder ihrem Brüten

den wintertauben Schlitten .

 

Da ich von Zerfallsstudien spreche :

In Havannahs Straßen gibts schönere Bleche ;

hier

nur gemarterte Staubästhetik

in Rumäniens Metropole

 

überall ticken die Uhren ,

nicht nur im Uhrenmuseum ;

die Alten

verweigern der Jugend ihre Jugend ,

ihre Zeit ist bald eh um .

 

8

A propos Restaurantbesuch :

Freie Platzwahl ! beim Italiener

unter diesem (?) oder jenem (?) Lautsprecher

und Du trittst die Deutungshoheit

über Dein Leben einer US-Boygroup

ab , krach und krächer

auch alles andere so authentisch wie jene

Soul-Sirene

 

9

Piata Amzei :

Bröckelbeton , viel Schatten , Efeu beschwert sich auf den gesackten Dächern von Jugendstil-Stadtpalais , Bröckelbeton der zutraulicheren

Art .

Piata Amzei ist ein stilles Altwasser neben  der Calea Victorei .

 

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Schmollmünder der Frauen ;

und Übergriffigkeiten aller Art von Gesangs-Subkultur .

Bullerbü mon amour .

 

11

Der Reisende

hat das Privileg , ungerecht  zu sein

zu dieser Stadt , und einfach zu sagen :

Oh wie schön !

 

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Gründerzeitliche Stadtpalais :

Bestehen nur aus der Sockel-Etage ;

machen auf strammen Max im Säulenversprechen ,

Kapitelle gern korinthisch ,

für den zweiten Stock hat es dann aber nicht gereicht .

 

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Hausmannisierungs-

resultate in dieser Metropole des Balkans

und Neben- und Beiwasser ,

wo Autos in der dritten Reihe (und Bürgersteige

zu-) parken , dem Hund kaum Platz zum Kacken lassend .

 

14

Die periphäre Sprache Rumänisch , die Armut , die prekäre nicht-Armut , der schlechte imitative Geschmack , wuchtige Lust am Zuviel , die jedes Wohnzimmer überlädt : Rumänien ist also und dennoch  und unter dem Strich westresistent trotz Häagen-Daz .

 

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Vom Zentrum in die Außenbezirke , Linie 86 : Die Stadt dünnt sich aus , wird widerstandslos , ein leerer Fingerzeig , eine Leichenhand .

 

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Die kleine Piata  Amzei ist eine Zone zum Schwindeln : Hier begegnen sich vorischtige Westler und wintrig-ungeschlachte Dauerrumänen , die  fast immer mit Abfallsichtung oder –beseitigung beschäftigt sind , wenn sie nicht gerade mit allen Autos der Welt den Boulevardul Magueru entlangheizen ; die Fußgänger immer im Schwimmwestenlook ( wir haben Winter ) .

 

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Hier wird auf Kante gelebt , in diesen Würfeln über/neben dem

Parkplatz . Hoffnung richtet sich auf ein Plastikrestaurant ( vielleicht hat es auf ? ) , gastlich gebiedert auf Folklore .

 

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Ein junger Vater , mit Rucksack auf winterlicher Schulter , schiebt sein Kind auf dem Spielzeugtraktor durch die Parkstraße , hebt den Arm und zeigt seinem Kind etwas Sehenswürdiges . Sie bleiben in einem kleinen Sonnenfleck stehen .

 

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In der Innenstadt fühlt sich der Besucher ermächtigt , man findet sich zurecht ! Geschäfte buhlen um mich . Im Plattenbaubezirk erliegt man im Würgegriff , über 10 Kilometer hinweg , entmächtigt .

 

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Boulevardul Dacia : Das Laubhüttenfest im Botschafterviertel ; eine Schrebergartenkolonie in edel .

 

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Rumäninnen verkleiden sich auf irisch , haben oft einen müde geduldigen Rot- Ton in der Frisur . Stand jetzt .

 

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Schwemmstadt , keine Hügel , nur Tsunami-Auslauf , ein Lavafeld .

Riesig groß ist Bukarest , wie Paris oder London , aber ohne Fluss . Ruinengeröll auf Abstand gehalten von den strengen gläsernen Sentinels  von Turbo .

Zum Spielzeug zwischen den Wolkenkratzern : Ein bisschen  Pop-Lifestyle .

 

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Am  Königspalast ! Wie der Pariser Louvre einmal aus einem Traum aufwachte und ausgerechnet in B. gelandet war : Vollfett-Klassizismus hier , an der Universität , im Auftrumpfen von Athenäum und Nationalbank . Soviel Kulisse , nur für mein Selfie : Das wäre doch nicht nötig gewesen !

 

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All the Latest : Wohin der Saharastaub so bläst

hallt hallt hallt

am verheißungsvollsten im coffeeshop an der Boulevadul Georghe Magheru .

Halt halt halt .

 

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a fost impuscat

a fost impuscat

a fost impuscat

 

(= wurde erschossen am 24.12. 1989 ; erinnert auf den Gedenkzetteln

am Kunstschmiedezaun vor Nationalmuseum :

 

wurde erschossen ,18 Jahre alt , Student )

 

Revolutionen lohnen

lohnen Revolutionen

wir wohnen in so ganz verschiedenen Zonen

Stand jetzt ( und alles ist Kultur !)

Bullerbü mon amour

 

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Zwei langbeinige Grazien , spinnengliedrig , ringen um die Vervollkomm-nung ihrer Selfies . Wo wohnen sie ? Wie lange noch ? Schon ?

 

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Ein Wattemorgen in freundlichem Grau . Der Sonntag spannt eine freundliche Feder . Angekommen ! Zeit will Dich nicht vertreiben .

Zeit zwischen den Hochhäusern , den Geraden , den Gräten , dem Kamm von Balkonen .

 

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Eine fehlerfreie Schulter , vorne leider wie Reklame von Fielmann , zu lockigem lockeren üppigen Haar . Stand jetzt .

Der Jacopo- Tintoretto- Barttyp schaut in seinen Teilchenbeschleuniger , gläubig ungläubig an seinem Ende des www ; zerrend am Netz , welchen Fang erwartet er ?

 

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Was die Fußgängerampel so aufeinander hetzt  , auf die fiebrigen

Wallungen des Bürgersteigs . Alle Baumwurzeln unter dem Trottoir wühlen sich hoch , wollen raus , wollen mit ihren muskulösen Armen hoch zu Dir .

 

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Die Kalenderblattschönen wurden auf das Rieseln hingewiesen !

Selbst IHRE Zeit ist vulgär unumkehrbar , vereindeutigt ; sie sehen nicht so drein , als hätten sie das verstanden ; gucken belästigt drein und verlangen das Haupt des Dichters auf der Schale , sagen : Wir sind schön , weil Euch nichts Besseres einfällt . Unerlöst und hier nur in babylonischer Gefangenschaft . Wir Schönen sehen durch Euch durch ,

die Ihr mit Eurem Blick an uns scheitert .Gebt UNS etwas zu sehen !

WIR sind die tragisch Gescheiterten . Erlöst uns von allem Nicht- Sehenswürdigen . Wie einsam wir sind .

 

31

Der Reisende

hat das Privileg , ungerecht  zu sein

zu dieser Stadt , und einfach zu sagen :

Oh wie schön !

 

32

Überall ticken die Uhren ,

sogar und erst recht im Museum ;

die Alten

verweigern der Jugend ihre Jugend ,

ihre Zeit ist bald eh um .